Das Schiff

Mehr ein Gefühl bzw. eine Atmosphäre als eine Kurzgeschichte. Sie ist im Sommer 2004 entstanden. Zu der Zeit habe ich gerne das Album „Summer Make Good“ von Múm gehört und hatte dabei die Bilder eines Schiffes in rauher See im Kopf. Immer und immer wieder, so sehr, dass ich unbedingt versuchen musste die Assoziationen in einer Geschichte aufzufangen.

Das Schiff lag im Hafen. Salzige Fluten leckten an den Planken, Wellen brachen an den Stützpfeilern des Kais, der Nebel hatte alles umhüllt, tauchte alles in einen leicht silbrigen und unheimlichen Glanz und verlieh einen Hauch von Mysteriösem. Wie Geister, wie kleine schwarze Silhouetten, wirkten die Menschen die herum standen. Die Sonne war gerade erst aufgegangen, doch konnte sie die Dichte Wolkendecke nicht durchbrechen, vielleicht fürchtete sie auch, den Kampf gegen die schon lange anherrschende Eiseskälte zu verlieren und traute sich nicht hervor. Der Nebel war ihr Schutzschild.
Alles konzentrierte sich auf das Schiff. Wie es sich mit den Wellen bewegte, immer wieder, ganz seicht auf und ab, wie ein schlafender Riese, dessen Brust sich hob und senkte.
Die Männer beluden es, nicht wissend, dass es die letzte Fahrt sein sollte, die es mache würde. Immer mehr und mehr Kisten beförderten sie hinein. Päckchen, mit kleinen Geschenken, riesengroße Säcke voller Briefe, die ihre Empfänger nie erreichen sollten. Immer wenn es auf und hinab ging in den Wellen gab es ein knarrendes Geräusch, fast wie Treppenstufen manchmal quietschen können. Ein paar Möwen schrieen, stiegen hinab in hohe Gefilde, um dann blitzschnell hinab zu gleiten, einen Kreis um die Masten zu drehen und in der Ewigkeit des Nebels zu verschwinden.
Andeutungsweise konnte man den Kapitän erahnen, der das Geschehen um sich herum mit einem zufriedenen Lächeln betrachtete, an seine Tee nippte und die Route im Kopf schon einmal fuhr. – Er konnte ja nicht ahnen, dass es eine Reise ohne Wiederkehr werden sollte…
Endlich konnten auch die Passagiere das Deck betreten. Es waren Männer und Frauen, sowie Kinder, die das Schiff mit der Hoffnung auf ein neues Leben betraten. Auch sie ahnten nichts von dem Schicksal, dass sie ereilen sollte.
Es war wahrlich kein neues Schiff mehr, dass sie betraten, dass wussten sie alle, doch hatte es schon weitaus längere Routen im Laufe der Jahre zurückgelegt, und immer war es sicher und heil wieder zurückgekehrt.
Die Passagiere winkten vom Deck aus ihren Angehörigen und Freunden zu, sie lachten, waren bester Dinge, freuten sich auf das was sie erwartete, in einer ungewissen Zukunft, irgendwo in einem andern Land, in einer andern Zeitzone, in einem neuen Leben. Sie wussten es ja nicht- wie hätten sie es wissen sollen?
Die Menschen am Kai winkten und jubelten als die Leinen gekappt wurden und man ablegte, einige von ihnen hatten Tränen in den Augen, da sie ihre Freunde wohl nie wieder sehen würden und ahnten nur noch Briefe zu bekommen, andere weinten Tränen des Glücks, trugen Hoffnung in den Augen, mit der stillen Gewissheit irgendwann in die neue Heimat zu folgen- keiner ahnte an diesem Tag, dass es ein endgültiger Abschied werden sollte. Nur der Sturm wusste es vermutlich, er gab sein bestes. Die See war alles andere als ruhig, sie tobte, bebte, hohe Wellen brachen sich selbst auf dem Deck. Heftige Windstöße blähten die Segel auf, brachten sie benahe zum reißen, und dies war selbst der Zustand im Hafen, man konnte sich gut ausmalen, wie es wohl weitab von Festland sein würde. Auf der See ist man verloren. Sie kann einen verschlucken, einfach so. Sie kann Leben nicht nur einfach beenden, sondern sie auslöschen. Einmal von der See verschluckt, würde man niemals wiederkehren, nur in den Erinnerungen.
Der Leuchtturm tat sein Bestes um seinen Lichtstrahl durch die dichten Nebel zu werfen und das Schiff aus dem Hafen zu manövrieren. Und dann verschwand es, im Nebel. Die Menschen versuchten noch so lange wie möglich, zu erahnen, wo es sich gerade aufheilt, welchen Weg es eingeschlagen hatte, aber man sah nichts mehr. Nach und nach verließen die Menschen den Hafen, gingen nach Hause, Frauen weinten, Männer bauten Lüftschlösser von einem Leben in einer besseren Welt um sie zu beruhigen, man versuchte sich an die Gesichter der Freunde zu erinnern, die Sekunde für Sekunde mit jedem Tag ein wenig mehr aus dem Gedächtnis verschwinden sollten.
Man sagt auf dem Grund des Meeres ist es dunkel. So dunkel, wie es auf dem Land niemals werden kann, egal wie dunkel es ist. Und dort, begraben in ewiger Dunkelheit und Kälte, in der Einsamkeit des Meeres liegt das Schiff nun, ganz alleine. Es hatte so viele Hoffnungen und Träume nicht alleine tragen können, hatte nicht gegen die Wut des Meeres ankämpfen können, hatte so viele Reisen überstanden, nur diese nicht. Bald hätte es ausgedient gehabt, wäre ersetzt wurden, hätte in einem Museum Ruhe gefunden, jetzt ist es mit Algen besessen, in völliger Kälte in völliger Einsamkeit, in der Ewigkeit des Meeres.
(Ich bin dieses Schiff, ihr könnt mit mir kommen, ich werde versuchen euch zu tragen, eure Wünsche und Träume heil an Land zu bringen, aber versprechen kann ich nichts…)

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